Teil 1
Wir sehen einen Menschen und es macht Klick.
Wir sehen einander in die Augen und verstehen uns. Solche Momente sind selten, aber sie passieren. Mein letzter dieser Momente war mit Victor. Für diese Begegnung bin ich sehr dankbar.
Victor und mich eint rein äußerlich nichts. Er ist Flüchtling, ich bin in Deutschland aufgewachsen. Wir haben nicht denselben Bildungshintergrund, nicht dieselbe Muttersprache, nicht dasselbe Geschlecht, nicht dieselbe Hautfarbe. Aber beide sind wir Menschen. Und wir mögen uns. Das reicht.
Unsere Unterschiede machen unsere Freundschaft nicht nur „irgendwie interessant“, sondern auf tiefe Weise lehrreich für mich. Und manchmal tut es weh, was ich durch Victor über mich und über unser Land lerne.
Von unserer Freundschaft will ich hier erzählen, immer wieder, nach und nach. Es gibt viel zu erzählen. Von Victor, von seinem Leben als Flüchtling in Deutschland. Von Victor als Mensch. Von uns als Land, von mir als Mensch. Victor ist einverstanden, dass ich über uns schreibe.
Unsere erste Begegnung war im Flüchtlingsheim in der Fauststraße in München Trudering. Es war Sommer. Heiß. Wir, mein Mann und ich, wussten, dass auch in Trudering Flüchtlinge untergebracht sind. Wir waren ratlos, was wir machen sollten. Irgendetwas wollten wir tun. All diese Menschen, die in ihrer Verzweiflung ihre Heimat verlassen mussten, und nun in unserem Land Schutz und die Chance auf ein neues Leben suchten. Wir wollten zeigen, dass sie bei uns Willkommen sind. Wie macht man das? Wir packten schließlich Eis und Apfelschorle in den Kofferraum und machten uns auf den Weg.
Wir wurden mit freundlicher Zurückhaltung begrüßt. Ein Heim für Männer. Wir unterhielten uns ein bisschen und fragten, was sie brauchen könnten. „Shoes“, sagten manche. „A Job“ sagten andere, wieder andere „Soccerball“ und lachten. Wir versprachen zu helfen. Es wurde spät, wir wollten fahren. Da kam Victor auf mich zu. Er war sehr ernst und sprach mit leiser Stimme: „Please, I need baby clothes.” Ich mochte ihn sofort. Vom ersten Moment. Aber eine Stimme in mir, nicht meine sympathischste, sagte: ‚Pass auf, lass dich nicht übers Ohr hauen! Warum braucht er Kinderkleider? Hier sind keine Kinder!‘ Also zog ich meine Augenbrauen zusammen und fragte streng: „Why do you need them? There are no children here?“
Für diesen Moment schäme ich mich noch immer. Und ich entschuldige mich hiermit bei Victor dafür. Es tut mir leid, dass ich dir bei unserem ersten Gespräch mit solchem Mistrauen begegnet bin, obwohl mein Herz mir doch Anderes gesagt hat.
Victor blickte zu Boden. „No, my children are at home. They don’t have anything to wear. My wife cries. So I promised her I will find clothes.” Ich versuchte zu lächeln, irgendwie gutzumachen, was ich vorher angerichtet habe. Und ich sagte: „I will come back and bring you some. I promise. Tell your wife not to cry.” Er lächelte zurück, er trug mir nichts nach.