Gestern Abend rief ich Victor an, um ihm zu erzählen, dass ich einen neuen Post über ihn geschrieben habe.
Er spricht kaum. Wir hatten ein paar Tage nicht miteinander geredet. „What’s the matter?“, frage ich.
„I’m thinking about my Family. My son is sick. He has high fever and cries. He is in pain“, antwortete Victor.
„I’m so sorry to hear that. You must be worried. What did the doctor say?“
„There is no doctor“, sagt Victor.
Was für mich als normales Gespräch über Elternsorgen begann, dreht sich auf einmal. Es ist, als würde ich ein paar Blätter beiseite wischen und darunter in ein tiefes Loch blicken. Kein Arzt. Ein krankes Kind und kein Arzt. Schon mit Arzt ist ein krankes Kind für Eltern ein großer Schrecken, etwas, das an den Grundfesten schütteln kann. Wie muss es sich für Victor und seine Frau anfühlen, wenn sie ihr krankes Kind noch nicht einmal zum Arzt bringen können. Wenn es keine Hilfe gibt. Nein, falsch. Wenn du weißt, es könnte Hilfe geben – aber du bist zu arm, um sie zu bezahlen.
„My wife bought some pills on the market, but they are not helping.“ erzählt Victor weiter. Tabletten vom Markt. Mir wird heiß. In ihrer Verzweiflung hatte sie das Einzige getan, was sie noch bezahlen konnte. Sie hatte von irgendwem irgendwelche Tabletten gekauft. Und da stehen wir, wieder einmal, jeder auf seiner Seite des Grabens zwischen westlicher und dritter Welt.
„Since when is he ill?“ fragte ich.
„Since Thursday. It is not getting better. My wife went to the clinic, but they won’t see him, because we can’t pay.“
„Why didn’t you call me?!?“
„You have done so much already. I didn’t want to ask for more.“ Und sosehr ich mir wünschte, dass wir eine Freundschaft auf Augenhöhe haben, so unmöglich ist es so oft. Ich sehe uns in diesem Moment. Ich, die Fee mit Zauberstab. Die, mit dem westeuropäischen Gehalt und Bankkonto. Und Victor, hilflos und mit leeren Händen. Mit der einzigen Wahl, um Hilfe zu bitten. Weil er in Nigeria geboren wurde und ich in Deutschland.
„Don’t be silly Victor! How much does the clinic want!“ Es ist keine Zeit für Betrachtungen über gleich und ungleich. Wir treffen uns noch am selben Abend und Victor fährt sofort los. Nach Pasing zu einem Nigerianer der eine Art informelle Bank ist. Er nimmt das Geld entgegen und ruft jemanden in Lagos an, dem er sagt, wie viel Geld Victors Frau sich abholen darf. So ist das Geld am schnellsten da und Victors Frau kann schon früh am Morgen mit ihrem Kind zum Krankenhaus fahren. Mit dem Fahrrad. Ich bete für Christopher. Mehr kann ich nicht tun.